Die Interviews

Romeo Gitano

Foto © Alexander Paul Englert
»Ich mache nur noch mein Ding«

Romeo Gitano ist Sänger und Songwriter. Sein Vater Ewald Hanstein setzte sich als Überlebender des Holocaust in der Bürgerrechtsarbeit von Sinti und Roma in Deutschland ein. Wie sein Vater liebt Gitano die Musik, wie sein Vater kämpft er für Entschädigung und für Bürgerrechte in Sinti-Vereinen.


 

Wir treffen den Sänger und Songwriter Romeo Gitano an einem kalten Februartag 2018 in einem Vorort von Darmstadt. Er hat uns in eine türkisch geführte Pizzeria gebeten. Das Angebot reicht von Pizza bis Döner Kebap und Fritten. Das Lokal war früher einmal ein kleines deutsches Café und ist am frühen Abend in dieses spezielle grelle Neonlicht getaucht, das ein wenig an die Stimmung in einem Stehimbiss an einem beliebigen Bahnhof an einem beliebigen Ort in Deutschland erinnert. Die Bedienung ist zuvorkommend. Man kennt den durchtrainierten selbstbewussten Mann, der um die Ecke wohnt und ab und an vorbeikommt. Sprüche gehen hin und her; Romeo Gitano hat Humor und Charme. Er kann über sich selbst lachen, wenn er türkischen Chai bestellt und zur Antwort bekommt, Chai sei Selbstservice, und er ein bisschen kokett nachschiebt, dass der Inhaber doch bei ihm eine Ausnahme machen könne, schließlich sei er ein VIP.

Mit bürgerlichem Namen heißt der Künstler Romeo Hanstein. Sein Vater ist Ewald Hanstein, der sich als Überlebender des Holocaust zeit seines Lebens in der Bürgerrechtsarbeit von Sinti und Roma in Deutschland einsetzte. Der 1924 geborene Sinto Ewald wuchs behütet bei seinen Großeltern in Breslau auf. Als es dort nach der Machtergreifung Hitlers 1933 für die kleine Sinti-Gemeinde unsicher wurde, wanderte die Familie nach Berlin aus. Sie ahnte nicht, dass die Reichshauptstadt wegen der bevorstehenden Olympischen Spiele 1936 systematisch „zigeunerfrei“ gemacht werden sollte. Die Familie kam ins Sammellager Marzahn. Von dort konnte der junge Ewald vor Beginn der reichsweiten Deportationen im März 1943 noch kurze Zeit im Berliner Untergrund untertauchen. Nach seiner Ergreifung wurde er ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebracht. Aus dem „Zigeunerfamilienlager“ schaffte es der Zwanzigjährige Anfang August auf den letzten Transport nach Buchenwald.

Die im Lager zurückgebliebenen Frauen, Kinder, Alten und Schwachen sahen uns und liefen zum Zaun. Es waren fast 2.900 Menschen. Unter ihnen meine Mutter und meine noch lebenden Geschwister. Der Zug setzte sich in Bewegung, die Schreie wurden mit jedem Meter leiser. Verstummt sind sie bis heute nicht.“ Nachzulesen ist die Lebensgeschichte des Bremer Sinto in der von Ralf Lorenzen behutsam aufgezeichneten Biografie Meine hundert Leben. Der Titel spielt darauf an, dass Hanstein die übermenschliche Kraft hatte, drei Konzentrationslager – Auschwitz-Birkenau, Buchenwald und Mittelbau-Dora –, den Todesmarsch und den Verlust seiner Freunde und seiner Familie zu überleben. Wegbegleiter und Menschen, die ihn trafen, beschreiben ihn als einen Mann mit leiser Stimme, der alle in seinen Bann zog, wenn er zu sprechen begann.

Romeo Gitano, sein Sohn aus zweiter Ehe, ist ihm nahe gewesen, erzählt der Sänger, Rapper und Entertainer in unserem Gespräch. Wie sein Vater – Ewald Hanstein hat zeitlebens Gitarre gespielt – liebt er die Musik, wie sein Vater kämpft er für Entschädigung und für Bürgerrechte in den Sinti-Vereinen in Bremen und Bremerhaven. Romeo Gitano, dessen Künstlername eine Reminiszenz an die spanischen Gitanos ist, wuchs in der kleinen Stadt Bassum in der Nähe von Bremen auf. Nach dem Tod des Vaters 2009 brach er seine erfolgreiche Karriere als Musiker ab. Zehn Jahre danach, sagt er uns, der noch in seiner Wahlheimat Bremen gemeldet ist, aber seit fünf Jahren mit seiner Frau und seinen Kindern in Darmstadt lebt, möchte er wieder Musik machen. Für sich – einfach sein Ding machen.
Das ganze Gespräch bei faustkultur.de“ rel=“noopener“ target=“_blank“>faustkultur