“There is fiction in the space between”

Ein Gespräch mit dem Künstler Emeka Udemba

Emeka Udemba

Künstler

[...]

Emeka Udemba, 1968 in Lagos geboren, studierte Kunsterziehung an der University of Lagos. Nach dem Studium in der nigerianischen Metropole und seiner ersten erfolgreichen Ausstellung, die er 1994 beim Goethe Institut in Lagos zeigte, ergab sich die Möglichkeit, nach Freiburg in den Breisgau zu gehen.

Der Künstler arbeitet heute in Nigeria und Deutschland und stellt in Europa, Afrika und Lateinamerika aus. Im Jahr 2002 bekam Emeka die Einladung, sich an der legendären Documenta 11 zu beteiligen. Sie wurde von ihrem künstlerischen Leiter Okwui Enwezor und einem Team aus sechs weiteren sogenannten Co-Kuratoren als Abfolge von fünf Plattformen konzipiert, wovon die vierte Under Siege: Four African Cities, Freetown, Johannesburg, Kinshasa, Lagos im März 2002 in Nigeria vorgestellt wurde. Die Videoinstallation Lost dreams, die Edemba damals dort zeigte, setzt sich mit den Widersprüchen im postkolonialen Afrika auseinander.

Mit Installationskunst, Fotografie, Performancekunst, Videokunst und Malerei erschuf sich Emeka Udemba eine Mixtur künstlerischer Ausdrucksweisen und etablierte bald eine künstlerische Präsenz in Europa. Wenig später gründete er einen Kunstraum in Lagos, um jüngere Künstler und Künstlerinnen zu unterstützen. Im Jahr 2013 begann er, seine charakteristischen Porträtbilder zu malen, die ein multiples Spiel mit den Identitäten treiben.

„Mich interessiert die Idee eines unendlichen Raums – ein grenzenloser Raum, der nicht durch äußere Kräfte definiert, wohin man gehört“, sagt er einmal. „Meine Figuren befinden sich in einem Raum, der keine Abgrenzung hat. Sie sind frei zu denken, was sie denken wollen. Sie bewohnen Räume, die wenig oder keine Zwänge haben.“ Edemba Umeka beschäftigt die Frage, wie sich das Wahrnehmen und Sichtbarmachen des „Anderen“ als einzigartige Persönlichkeit in einem für sie neu gedachten Raum, im Dazwischen, Geltung verschaffen kann. In seinen Installationen, Fotos und Bildern geht es darum, im konkreten wie übertragenen Sinne, sich als Persönlichkeit zu zeigen, präsent zu sein. Das mag auch ein Motiv für sein Projekt Telling Stories gewesen sein, welches 2017 beim Africa Alive Festival im Rahmen des thematischen Schwerpunkts zur Migration in Frankfurt am Main gezeigt wurde. Dafür hatte Emeka Udemba Geflüchtete und Migranten und Migrantinnen in Deutschland gebeten, sich von ihm mit selbstgewählten Deutschland-Symbolen fotografieren zu lassen. Auch hier beschäftigte den Künstler die Frage, inwieweit sich die von ihm Portraitierten in Deutschland Räume erschaffen können, mit denen sie sich identifizieren können – zumindest in dem Zeitraum, da sie ihren Lebensmittelpunkt hierzulande haben.

Emeka Udemba trafen wir im Januar 2017 bei der Vernissage von Telling Stories im Filmforum Höchst, vier Jahre später sprach ich nochmals mit ihm am Telefon.

There is fiction in the space between

the lines on your page of memories
write it down but it doesn’t mean
you’re not just telling stories
there is fiction in the space between
you and reality
you will do and say anything
to make your everyday life
seem less mundane
there is fiction in the space between
you and me
there’s a science fiction in the space between
you and me
a fabrication of a grand scheme
where i am the scary monster
i eat the city and as i leave the scene
in my spaceship i am laughing
in your remembrance of your bad dream
there’s no one but you standing
leave the pity and the blame
for the ones who do not speak
you write the words to get respect and compassion
and for posterity
you write the words and make believe
there is truth in the space between
there is fiction in the space between
you and everybody
give us all what we need
give us one more sad sordid story
but in the fiction of the space between
sometimes a lie is the best thing
sometimes a lie is the best thing

Cornelia Wilß: In Ihrer Arbeit verschmelzen westliche mit afrikanischen Motiven. Sie interpretieren traditionell verwendete Materialien, die Sie aus Afrika kennen, neu und kreieren daraus Installationen, die sich dem oberflächlichen Blick und der schnellen Deutung entziehen. Schicht für Schicht werden das ursprüngliche Motiv oder der vorhandene Körper verfremdet und in ein neues Sein transformiert. Man hat Sie deshalb schon oft gefragt, ob Sie ein »hybrider« Künstler sind…

Emeka Udemba: Ja. Ich empfinde diese Kategorie als Diskriminierung. Dass ich Elemente aus meiner Kultur in meiner künstlerischen Arbeit verwende, ist doch selbstverständlich. Das ist eine sehr europäische Denkweise, alles systematisch oder nach Kategorien in eine hierarchische Ordnung pressen zu wollen. Das ist Ausdruck des europäischen Dominanzgebarens. Der Westen beansprucht weiterhin, die Moderne Kunst oder die Avantgarde allein zu vertreten. Andere Perspektiven werden dann einfach auf das reduziert, was man zu kennen und zu wissen glaubt. Außerdem gilt generell noch immer alles, was nicht westlich ist, schnell als traditionell oder gar „primitiv“. Ich habe sehr oft die Erfahrung gemacht, dass Arbeiten von Künstlern aus Afrika nicht gerade hochgeschätzt und wahrgenommen werden. Sobald der Name des Künstlers afrikanisch klingt, verändern sich die Einstellung des Publikums und seine Erwartung an Ästhetik und Semiotik. Die Farben Afrikas müssen doch vielleicht leuchten, warm sein und den Bildern und Vorstellungen über Afrika entsprechen, die man sich hier macht, oder?

Für mich soll Kunst eine Plattform sein, nicht nur Schönheit ausdrücken, aber auch Aufklärung und Information bieten – egal welche Herkunft der- oder diejenige Künstlerin hat. In diesem Sinn soll sich das Publikum für neue Erfahrungen und Austausch öffnen. Es ist wichtig, dass wir diese Betonmauer aus Erwartungen und Projektionen abtragen.

Selbstverständlich beeinflusst mich meine Herkunft, und manchmal arbeite ich mit Materialien, die in meiner Kultur eine Bedeutung haben. Jedoch spielt und befasst sich mein künstlerisches Schaffen mit der Realität meiner Identität. Meine Arbeiten erfassen die Frage des „Seins“ und wie wir uns selbst und andere sehen. Viele Kunstschaffende aus Afrika werde hier in Deutschland oft nur als afrikanische Künstler wahrgenommen, gerade so als ob Afrika ein Teil eines anderen Planeten ist. Ich bin stolz darauf, dass meine Wurzeln in Afrika liegen. Ich bin ein Künstler aus Afrika, aber kein afrikanischer Künstler!

©Emeka Udemba, “Congrigation 2”

Künstler aus Afrika, aber kein afrikanischer Künstler

Ist das eine Erfahrung, die Kunstschaffende aus Afrika in Deutschland machen oder ist das ein grundsätzliches Problem?

Ich glaube, das ist eine Erfahrung, die wir alle machen, unabhängig davon, wo wir hingehen und wo wir in der westlichen Welt arbeiten. Wenn beispielsweise ein Künstler aus Deutschland Elemente der afrikanischen Kunst aufnimmt, dann wird er als kosmopolitischer Künstler gefeiert. Das ist doch auch keine neue Sache, wenn man sich den Dadaismus anschaut oder Picasso…. Die haben genau das gemacht. Und bis heute löst das einen Wahnsinnshype aus. Wenn ein in Afrika geborener Künstler das macht, entspricht er nicht den Erwartungen der so genannten Kunstszene. Er bleibt ein auf das Traditionelle bezogener und gesehener authentischer afrikanischer Künstler!

Welche Rolle nehmen die Kuratoren und Kuratorinnen dabei ein?

Ich beobachte, dass sich nur wenige auf den Weg machen und nach neuen kreativen Kunstschaffenden auf dem afrikanischen Kontinent Ausschau halten. Die meisten blättern die Kataloge der Biennalen durch und suchen aus dem Portfolio diejenigen heraus, mit denen sie dann Ausstellungen machen wollen. Sie reisen selten selbst nach Afrika, um zu sehen, was es dort gibt. Deswegen ist das, was man hier oft zu sehen bekommt, ein Recycling des Immergleichen.

Und der Kunstmarkt?

Die Galeristen sind an fertigen Produkten interessiert und wollen das Werk bei den Kunstausstellungen und Biennalen präsentieren. Die spekulieren natürlich darauf, dass der Wert deiner Arbeit in den nächsten Jahren steigt. Vielleicht hatten Galerien früher eine andere Ethik. Dass jemand an dich glaubt und dich begleitet… diese Einstellung gibt es jetzt selten. Früher gab es vielleicht noch eher Mäzene, Kunstliebhaber, die dich gefördert haben. In Deutschland stehen vergleichsweise viele Fördermittel zur Verfügung, die man als Künstler anzapfen kann. Aber das ist wie Lotto spielen. Es gibt viele Kunstschaffende, die sich um diese Förderungen bewerben, das ist ja auch normal. Man hangelt sich halt von Projekt zu Projekt. Die meisten von uns haben zwei, drei neben Jobs, um zu überleben. Mein Weg ist es, unabhängig von der institutionellen Präsenz oder Vertretung eine Plattform für mich selbst zu entwickeln. Du kannst nicht warten, bis dich jemand entdeckt.

Ist das schwerer von Freiburg als etwas vom hippen Berlin aus?

Ich lebe gerne in Freiburg. Die Stadt ist international, hat ein angenehmes Klima, der Schwarzwald ist in der Nähe, Frankreich (lacht laut), Freiburg ist aber keine Hochburg für zeitgenössische Kunst. Ich musste mich schon immer um Kontakte bemühen. Ich reise viel und dadurch kann man ein Netzwerk aufbauen. Zum Beispiel nach Berlin, wo man viele Kunstinstitutionen und Kunstschaffende treffen kann. Eine Hauptanlaufstelle für zeitgenössische Kunst aus Afrika und anderen Regionen der Welt ist die SAVVY Contemporary, doch sonst gibt es deutschlandweit kaum eine Galerie, die Künstler und Künstlerinnen aus Afrika in ihrem Portfolio hat.

Sie haben mit am offiziellen Programm der Dak‘Art 2018 teilgenommen, die in Anlehnung an den afrokaribisch-französischen Schriftsteller Aimé Césaire den Panafrikanismus gefeiert hat. Wäre der Aufbau einer panafrikanischen Plattform von Künstlern und Künstlerinnen in Afrika und in der Diaspora ein vielversprechender Ansatz, um sich von der Dominanz des Westens zu befreien?

Ich bin oft in Nigeria und ich kenne das Land gut. Und man spürt im Moment tatsächlich eine Wiederbelebung unseres Selbstbewusstseins. Die Leute sind aufgeklärter. Natürlich kann man sich das wünschen, aber die Realität ist anders. Schauen Sie sich doch die Entwicklung Asiens auf dem Kunstmarkt genau an, es ist offensichtlich, dass viele Künstler von dort jetzt salonfähig in Europa sind. Woran das liegt? Das spiegelt den ökonomischen Aufstieg von China und anderen asiatischen Ländern wider. Der ökonomische Erfolg und ob und wie sich eine Gesellschaft weiterentwickelt und die Relevanz von Kunst im sozialem Raum hängen zusammen.

In Nigeria und in vielen Ländern Afrikas gibt es Neureiche, die Kunstsammlungen oder Galerien unterstützen. Man spürt jetzt dort schon eine Wertschätzung der eigenen kreativen Industrie. Aber es liegt noch ein langer Weg in Afrika vor uns, um zu einer Unabhängigkeit vom Westen zu gelangen. Oft ist es so, dass Biennalen wie in die in Lagos und in Dakar oder in anderen urbanen Zentren Afrikas zu einem großen Teil von außen finanziert werden. Die externen Geldgeber nehmen oft Einfluss auf die Gestaltung dieser Kunst-Ereignisse.

Independent art space

Sie haben in Lagos 2014 die Initiative MMMoCA (Molue Mobile Museum of Contemporary Art-Projekts), ein Museum für zeitgenössische Kunst auf Rädern ins Leben gerufen. Welche Idee liegt dem Projekt zugrunde?

Die Idee des MMMoCA hinterfragt die konventionelle Rolle von Museen als archivzentrierte Kulturinstitutionen. Sie hinterfragt auch das Thema des „kulturellen Elitisim“, bei dem sich die Kulturszene meist in den „gehobenen“ Gegenden unserer Städte und Gemeinden abspielt. MMMoCA ist eine Plattform für kritische zeitgenössische Kunstpraktiken, Erfahrungen und Reflexionen, um einen für alle zugänglichen sozialen Raum die Menschen durch kreative Aktivitäten und Diskurse zusammenzubringen. Man könnte sagen, das Molue ist ein bewegliches Labor für kreativen Austausch. Daran beteiligen sich sowohl internationale als auch lokale Künstler [die Red.: Aderemi Adegbite, Ayo Akinwande, Massira Toure, Angelo Dakouo, Clara Aden, Monsuru Alashe, Yamferlinos, Lukman Tadeyo, Emeka Udemba]. MMMoCA bringt Ausstellungen, Screenings, Roadtrips, Performances, Gespräche und Workshops an die Öffentlichkeit. Der Roadtrip zur Biennale 2018 in Dakar, etwa 4.000 Kilometer von unserem Ausgangspunkt in Lagos entfernt, war ein gelungenes Experiment der Begegnung und der Kunstpräsentation im öffentlichen Raum. Das MMMoCA ist ein unabhängiger Kunstraum, der gekommen ist, um zu bleiben. Dieses Projekt ist nicht abgeschlossen. Es bleibt in Bewegung. Ich plane, eine Reihe anderer stillgelegter Molue-Pendlerbusse als Erweiterungen und Teil des Netzwerks in solche mobilen Museen umzuwandeln. Wir sind auf der Suche nach Sponsoren, die jedes Modul des Museums finanzieren.

Das kann man auch als Gegenentwurf zu etablierten Museum sehen, oder?

Genau! Die gegenwärtigen Konzeptionen von Museen in Afrika sind die Kopie eines europäisches Konzepts, das im afrikanischen Kontext unangemessen ist und schlicht einfach nicht funktioniert. Da ist zum einen ein Problem der mangelnden Infrastruktur der Häuser, aber das ist nur ein Teil dessen, warum ich denke, dass wir das ganze Konzept auf radikale Weise umkrempeln müssen. In meinen Augen sind die Museen in Afrika oft leere sterile Gebäude, vollkommen abgehoben von den Bedürfnissen und Erfahrungen der „normalen“ Leute. Es ist eine elitäre Annahme, dass Menschen bei uns ins Museum zu gehen, um sich ausgestellte Objekte anzuschauen. Man muss die Institution Museum als Teil eines kulturellen Angebots völlig anders machen, und diese Räume zu produktiven Orte des Wissens und der Begegnung umwandeln. Das mobile Museum gibt uns genau diese Möglichkeit.

Wenn Sie die gegenwärtigen Konzepte von Museen kritisieren, wo sehen Sie Ansatzpunkte für die Präsentation von Objekten, die von europäischen Museen zurück in ihre afrikanischen Herkunftsländer oder Herkunftsregionen gegeben werden?

Für mich ist das eine sehr emotional geführte Diskussion. Ich verstehe, dass es hier darum geht, im Westen anzuerkennen, dass diese Objekte den Afrikanern einst gehörten und dass sie zur afrikanischen Kultur und Identität gehören. Das ist eine sensible Angelegenheit für viele Afrikaner, und die Europäer müssen diese Forderung als Teil ihrer Kolonialgeschichte und Kolonialschuld akzeptieren.

Aber ich möchte einwenden, dass die faktische Realität vor Ort eine völlig andere ist. Wo sollen wir diese Objekte präsentieren? Wir brauchen mehr Zeit, um die entsprechenden Institutionen aufzubauen. Dabei geht es ganz klar auch um das technische Know-How von Restauratoren und das Wissen von Kunstwissenschaftlen. Deswegen würde ich stärker auf kooperative Modelle setzen, wenn die Museen gegenseitige definierte verbindliche Kooperationen eingehen und beispielweise Ausstellungen gemeinsam konzipieren würden. Dann könnten Objekte für einige Zeit zum Beispiel in Lagos gezeigt werden, danach in Berlin. Danach an einem anderen Ort. Es muss eine klares Reglement geben, einerseits, aber andererseits müssen wir auch verstehen, dass wir eine einzige Menschheit sind und uns gegenseitig beeinflussen. Einzig und allein auf symbolische Akte zu setzen, bringt uns nicht weiter. Wir müssen in Afrika mehr Anstrengungen unternehmen, Dinge positiv zu verändern.

An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?

Momentan verfolge ich verschiedene Projekte. Die Corona-Pandemie zwingt mich dazu, mich auf meine Malerei zu konzentrieren. Eines meiner letzten Projekte, das die Galerie für Gegenwartskunst in Freiburg gezeigt hat, war die Ausstellung Another Day in Paradise bei der Regionale 21 im E-Werk Freiburg (www.swr.de/kunst-und-ausstellung).

©Emeka Udemba, Ausstellung „Another Day in Paradise“

Ein neues Projekt Intended Goodness sollte dieses Jahr beginnen, wurde aber jetzt verschoben. Es geht anhand von Objekten aus der deutschen Kolonialzeit um die Aufarbeitung unserer gemeinsamen Geschichte, die in die Gegenwart hineinwirkt. Kennen Sie den „Nickneger“, der in den Kirchen weitverbreitet war, eine Form der Spendendose zugunsten der Überseemission? Ich möchte anhand der künstlerischen Bearbeitung solcher kolonial geprägten Objekte die Geschichte des Kolonialismus zwischen uns aufarbeiten. Das wird ein langer Prozess werden. Wir müssen auch von afrikanischer Seite mehr tun, um die Geschichte aus unserer Perspektive zu erzählen.