Und dann kommt der Zweifel auf ... in der Ungewissheit des Geistes
Von Muepu Muamba
In dieser Zeit lösen sich die Mythen auf und ertrinken im Nichts.
„Holen Sie uns hier raus!“, schreien die thailändischen Jugendlichen. In diesem Moment geht die Jugend der Welt auf die Straße und protestiert mit Töpfen und Pfannen. Sie aus was herausholen? Aus diesem Dreck, den die Menschheit seit ihrem sogenannten Auftauchen aus der Animalität und während ihres langen Weg zur Menschwerdung mit sich herumschleppt. Diese Menschheit, die behauptet, die Gewalt den Bestien überlassen zu haben…
Toma Muteba Luntumbue gehört zu denen, mit denen ich meine Zweifel teile. Und woher kommt mein Zweifeln? Vielleicht von meinem Großvater mütterlicherseits, der mich gelehrt hat, aufmerksam und respektvoll allen Lebewesen zuzuhören: gleich, ob sie bewegliche Wesen oder unbeweglich in der Erde verwurzelt sind, wie die Bäume. Und den Verstand und das Herz nicht von geschwätzigen Worten überfluten zu lassen. Er hatte mich auch vor Eitelkeit und Selbstgefälligkeit gewarnt.
Respekt vor meinem Gegenüber ist für mich lebensnotwendig für den Aufbau des Menschlichen.
Ich höre zu und lerne dabei.
Unerwartet traf ich in Brüssel mit Tame Iti zusammen. Er ist ein Black Panther aus den Gegenden der fernen Ozeane. Vorübergehend war er aus einem Gefängnis in Neuseeland entlassen worden, nur um an dem Brüsseler Treffen teilzunehmen. So nützte ich die Gelegenheit, um etwas über Neuseeland und sein eigenes Maori-Volk, über ihre Leiden, aber auch über die Bräuche seines Volkes, zu erfahren.
Zu meiner angenehmen Überraschung entdeckte ich, dass ihre Sitten und Gebräuche, denen des Landes, aus dem ich stamme, ziemlich ähnlich sind. Tame Iti war einer der Schauspieler in Shakespeares Stück Tempest, das auf Maori gespielt wurde. Dieses prächtige Treffen war der Großzügigkeit von Toma Muteba Luntumbue zu verdanken, der vorgeschlagen hatte, dass das Flämische Theater, Organisator des Treffens, mich einlädt.
Tame Iti verriet mir auch, dass er die Namen seiner Enkel, aber auch die seiner Kinder, auf seinen Körper eingravieren ließ, um sie dadurch zu beschützen…
Diese Männer – der Regisseur, Lemi Ponifasio und Tame Iti –, die vom der Ende der Welt gekommen waren, rebellierten gegen diejenigen, die ihnen Terror vorwarfen. Sie erwiderten in der Debatte vehement: „Wissen Sie, welchem Terror Europa uns ausgesetzt hat?“ Diese Frage könnte auch von Afrikanern gestellt werden, zurecht. Zivilisation, Geschichte und Barbarei…
Toma nimmt an dieser stürmischen Debatte teil. Er hinterfragt Kunst und Geschichte in seinen praktischen und theoretischen Arbeiten mit großer Klarheit. Das ist sehr wichtig in dieser Zeit der vielfachen Kontroversen, in der die Wörter manchmal eine gemeinsame Amnesie zu haben scheinen. ‚Dekonstruieren‘ ist ein Wort-Fetisch, das magische Zauberwort, in diesen unsicheren Zeiten der postkolonialen Debatte.
Toma beteiligt sich an dieser Debatte, nicht nur als Künstler, sondern auch als Lehrender. Er versucht, jungen Menschen die Werkzeuge in die Hand zu geben, die sie brauchen, um unsere Welt zu verstehen.
Was uns beide seit vielen Jahren verbindet, ist diese Suche nach Wahrheit, nach Verständigung zwischen den Menschen.
Übersetzung: Maria Németh
Die Fragen stellten Muepu Muamba und Cornelia Wilß
Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Restitution. Würden Sie sagen, dass die belgischen politischen, musealen und wissenschaftlichen Institutionen empfänglicher für Restitutionsanfragen geworden sind? Oder haben Sie parallel dazu und als Reaktion darauf auch eine Zurückhaltung, ja einen Widerstand erlebt? In Bezug auf diese letzte Frage, und wenn ja, woher kommt dieser Widerstand und was sind die Argumente?
Toma Muteba Luntumbue: Die Diskussion in Belgien scheint mir zu sehr auf Belgien fokussiert zu sein. Es gibt die Tendenz, anstelle des „Anderen“ denken und sprechen zu wollen. Was mir für Belgien sinnbildlich erscheint, ist ein Opportunismus gepaart mit Intransparenz angesichts des Medienrummels, der auf die Veröffentlichung des vom französischen Präsidenten Macron in Auftrag gegebenen Sarr-Savoy-Berichts folgte.
Während des ganzes Prozesses der Renovierung des Tervuren-Museums war nie die Rede von einer ernstgemeinten Politik der Restitution von Kulturobjekten, die während der Kolonisation geraubt wurden. Zudem ist nicht klar, welche politische Instanz dafür verantwortlich ist. In den vergangenen Jahren hat das Museum in Tervuren eine Politik der Infiltrierung und Neutralisierung der Diaspora betrieben, indem es den medialen Raum vollständig dominieren und die Bedingungen und Kriterien des Dialogs mit Menschen aus afrikanischen Gemeinschaften beherrschen wollte.
KEINE ECHTE POLITIK DER RESTITUTION
In anderen Ländern haben sich die Gesetzgebung und eine ethische Praxis mindestens seit drei Jahrzehnten rasant entwickelt. Museen in Kanada, den Vereinigten Staaten, Australien und Neuseeland waren schon immer an vorderster Front, wenn es um die Vielschichtigkeit kultureller Restitution ging. Sie haben die Führung übernommen, die moralische Integrität ihrer Sammlungen zu gewährleisten und zu versuchen, historisches Unrecht zu korrigieren.
Die großen Museen sträubten sich lange dagegen, die Sammlungen aufzugeben, auf denen ihr Ruf beruht. Dennoch gab es entscheidende konkrete Fortschritte, nachdem die „indigenen Gemeinschaften“ lange Zeit darum gekämpft hatten, die Rechte an den Objekten des Kulturerbes zu bekommen oder gar Zugang zu ihnen zu erhalten.
1975 erließ Neuseeland ein Gesetz (Protected Objects Act), um die Ausfuhr von geschützten Objekten zu regeln, die sich auf die Kultur, Geschichte oder Gesellschaft der Maori beziehen, und um die Rückgabe von illegal ausgeführten oder gestohlenen Objekten zu ermöglichen. Der Native American Graves Protection and Repatriation Act (NAGPRA) wurde bereits 1990 in den USA in Kraft gesetzt (NAGPRA 1990). Obwohl es international keine Anwendung findet, hat dieses Gesetz, bei dem es sich in erster Linie um eine ethische und menschenrechtliche Frage handelt, einen erheblichen Einfluss auf viele „indigene Gemeinschaften“ in anderen Ländern gehabt, die es als Handlungsmodell nutzen.
Wenn es in Belgien ähnliche Initiativen gegeben hätte, wüssten wir davon. Der derzeitige offizielle Diskurs über die Rückgabe des Schädels des kongolesischen Königs Lusinga, der vom belgischen General Storms enthauptet wurde, scheint mir auf ethischer Ebene völlig unaufrichtig und politisch opportunistisch zu sein. Wenn es ein paar feindselige Reaktionen auf die Restitutionen gibt, so bleiben sie in ihrer großen Mehrheit eher fadenscheinig und beruhen auf dem trügerischen Argument, dass die Museumsfachleute in Subsahara-Afrika unvorbereitet und inkompetent seien, ihr eigenes Erbe zu bewahren.
Könnten Sie die Dynamik der Debatte in der Demokratischen Republik Kongo erklären? Gibt es einen Konsens über das Ziel von Restitutionen, über ihre symbolische Bedeutung, ihre restaurative Wirkung und logistischen Rahmenbedingungen?
Dieser Prozess braucht Zeit. Im Kongo hat noch nicht jeder das Ausmaß und die symbolische Bedeutung der Restitution erfasst. Präsident Tshisekedi hat bisher eine pragmatische, vorsichtige und maßvolle Position eingenommen, die es ihm ermöglicht hat, nicht in die Falle einer komplexen und hoch ideologischen Debatte zu tappen. Wenn er der Meinung ist, dass die Frage der Rückgabe von Kulturgütern oder die der Wiedergutmachung nicht vordringlich ist, dann denke ich, dass dies nicht nur aus diplomatischen und politischen Gründen so ist. Es gibt derzeit keinen Grund, sich in einen so komplizierten Prozess zu stürzen, in einer Zeit, in der der Kongo vor weitaus schwerwiegenderen Problemen steht.
Persönlich glaube ich, dass Restitution eine starke Position erfordert, weil sie eben politisch ist, auch wenn die diplomatische Logik vorschreibt, dass es keinen Gewinner oder Verlierer gibt. Für die DR Kongo würde sie es ermöglichen, aus einer Situation des Bittstellers gegenüber den belgischen Institutionen herauszukommen, die darauf bedacht sind, eine wissenschaftliche Hegemonie durch eine Politik der technischen Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten, die jedoch politisch instrumentalisiert ist.
In Kinshasa gibt es einige, die meinen, dass eine umfangreiche und sofortige Restitution sinnlos wäre. Objektiv betrachtet, würde es furchtbar mühsam werden, wenn das gesamte kongolesische Erbe, welches in der ganzen Welt verstreut ist, repatriiert würde. Vor allem aus ethnologischen Gründen ist es zunächst einmal wichtig zu erkennen, dass diese Objekte eine Sinnkrise durchlaufen. Zu behaupten, dass sie ein universelles Erbe darstellen, ist eine Verkürzung und eine intellektuelle Täuschung. Die „mächtigsten“ oder symbolisch aufgeladenen Objekte werden von den dortigen evangelischen Kirchen als „Teufelszeug“ betrachtet. Religiöse Menschen unterschiedlichster Prägung sehen die öffentliche Zurschaustellung dieser Kulturgüter nicht gern. Diese haben zwar ihre ursprüngliche Bedeutung verändert, seit sie Kongo verlassen haben, sind aber im Kontext der kulturellen Globalisierung immer noch problematisch.
All diese Brüche zeigen das Ausmaß der epistemologischen Arbeit, die sich mit der Rückkehr der kulturellen Artefakte eröffnen würde. Im Kongo wollen viele Menschen vom kolonialen Paradigma der „Stämme“ oder ethnischen Gruppen wegkommen. Das Land ist so riesig und vielfältig. Die kongolesische Identität ist sehr komplex, reich an einer Diaspora, die mehr und mehr die Entwicklung der Gesellschaft stark beeinflusst. Das neue Nationalmuseum kann daher nur ein blasses Spiegelbild, eine Karikatur des Kongo von gestern, heute und morgen sein.
In den westlichen Ländern ähneln die Museen den Vergnügungsparks. War es notwendig, dieses Modell hierher zu importieren?
Das MNRDC (Nationalmuseum der Demokratischen Republik Kongo) ist in erster Linie ein neues prestigeträchtiges Gebäude, ein architektonisches Zeichen in der Stadt Kinshasa, ungeachtet dessen, was es tatsächlich enthält (nur 400 Werke werden der Öffentlichkeit präsentiert unter den Zehntausenden von Stücken, die vom Institut der Nationalmuseen aufbewahrt werden (45.000, von denen 12.000 in die Depots des neuen Museums überführt wurden), ungeachtet der wissenschaftlichen Ausrichtung des Museums. Das ist vor allem ein Symbol. Für den Moment scheint es zu reichen, zu sagen, dass es endlich ein Nationalmuseum gibt, das diesen Namen verdient: Punkt. Aber wir dürfen nicht unfair gegenüber einer im Entstehen begriffenen Institution sein, die sich in einem besonders unberechenbaren historischen Kontext erfinden muss.
PÄDAGOGIK DER KUNST IN AFRIKA
Mit welchen Themen (und mit welchem Material) beschäftigen Sie sich derzeit? Welche konkreten Projekte verfolgen Sie?
Meine künstlerische Arbeit nimmt seit Jahren mehrere voneinander untrennbare Ausdrucksweisen an. Ich arbeite als unabhängiger Künstler und Kurator und unterrichte an zwei Kunsthochschulen in Belgien. Meine theoretische Forschung betreibe ich davon unabhängig, als Kunsthistoriker an der Schnittstelle von postkolonialer Theorie und visueller Kultur. Ich versuche, die Möglichkeit einer kritischen Wiederaneignung des Gedruckten, der Massenmedien und des visuellen Imaginären des Kongo durch eine breite Palette von Bildern zu hinterfragen. Dazu sammle, analysiere und schlachte ich koloniale und postkoloniale Bilder aus. Ich habe festgestellt, dass einige der vergessenen Bilder und Archive außerhalb ihres früheren Kontexts ihres ursprünglichen Zwecks beraubt sind; sie werden autark, weil sie kein Teil mehr eines früheren Sinngefüges sein können. Derzeit interessiere ich mich für die Pädagogik der Kunst in Afrika, aus der Perspektive kollektiver und gemeinschaftlicher Schaffenspraktiken. Ich möchte in meiner Heimatstadt Kinshasa ein neues multidisziplinäres und experimentelles Programm für Kunsthochschulen initiieren oder an der Ausarbeitung mitwirken.
2017 waren Sie der künstlerische Leiter der fünften Lubumbashi Biennale. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?
In ihren ersten drei Ausgaben konzentrierte sich die Lubumbashi Biennale, Rencontres de Lubumbashi, auf die Fotografie. Sie dauerte nur ein paar Tage, aber wir haben sie 2015 zu einer multidisziplinären Biennale weiterentwickelt und ihre Dauer auf einen Monat verlängert. Das Motto lautete, die herausragenden Künstler und Künstlerinnen des Kongo zu präsentieren und dem kongolesischen Publikum das Beste der internationalen zeitgenössischen Kunst zu zeigen. Die Idee war es, nicht die westlichen Biennalen zu imitieren. Diese Treffen sollten eine Biennale fürs breite Publikum sein, eine offene Veranstaltung, die der lokalen Bevölkerung gewidmet ist und nicht indirekt mit der westlichen Agenda verbunden ist.
Bei der zweiten Biennale 2017 lag der Fokus auf dem jungen kongolesischen Schaffen und darauf, Künstler und Künstlerinnen sichtbar zu machen. Die Organisation einer solchen Feier in der Demokratischen Republik Kongo ist immer eine Herausforderung. Wegen der sehr kurzfristigen Entwicklungen, der allgemeinen Unsicherheit. Man muss sich immer schnell anpassen, vermeiden, dass man nur aufs Negative achtet, man muss versuchen, mit den Leuten Lösungen zu finden anstatt sich über Missstände zu beschweren.
LUBUMBASHI – DAS HÄSSLICHE GESICHT DES KAPITALISMUS UND KOLONIALISMUS
Lubumbashi ist das zweitgrößte Stadtgebiet der DR Kongo, 3.600 km von der Hauptstadt Kinshasa entfernt, und ist der Knotenpunkt zwischen dem zentralen und südlichen Afrika. Die Stadt verdankt ihre Entstehung und ihre Entwicklung der Entdeckung bedeutender Kupfervorkommen und deren Ausbeutung durch die Union Minière du Haut-Katanga. Erbaut 1910 nach einem Grundriss im amerikanischen Stil, wurde alles nach kapitalistischer Gier geplant und gebaut. Der Ausbau der Kupferindustrie machte sie zu einem großen Verwaltungs- und Handelszentrum in der Nähe der Minen und Fabriken.
Der Bau von großen Werken, Straßen, modernen Städten und Fabriken diente nur dazu, die Entwicklung von Kolonialunternehmen wie der Société Générale und ihren Tochtergesellschaften (CSK, UMHK, Forminière, Géomines usw.) zu erleichtern. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 hat Lubumbashi tiefgreifende Veränderungen erfahren. Vier Jahrzehnte wirtschaftlicher Krise, politischer und sozialer Gewalt werden den Stadtraum allmählich dekonstruieren, neue soziale Beziehungen erzeugen. Im Jahr 2003, nach einem Jahrzehnt in Aufruhr, löste die Entlassung von 1000 Mitarbeitern von Gécamines im Rahmen des von der Weltbank konzipierten Projekts zur Liberalisierung des Bergbausektors ein soziales Erdbeben aus.
Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Lubumbashi und ihr Umland einer der Orte auf der Welt ist, an dem Kapitalismus und Kolonialismus ihr hässlichstes Gesicht gezeigt haben. Intensive Bergbauaktivitäten haben dem Land Wunden zugefügt. Noch immer bedroht der Bergbau die Gesundheit der Menschen, zerstört Gemeinschaften und macht sie nicht glücklich. Dies ist eine grausame Wahrheit, der man sich stellen muss. Heute sehen wir Hunderte von Lastwagen voller Mineralien, die die Stadt durchqueren, fast heimlich, in Richtung eines unbekannten Ziels.
Wir leben in einem sehr undurchsichtigen Wirtschaftssystem. Diese Undurchsichtigkeit ist das Produkt des globalen Kapitalismus. Es gibt lokale Widerstände, auf die wir hören müssen. Die kongolesische Stadt kristallisiert die Dynamik der heutigen Gesellschaft, ihre Übel, ihre Fehler. Das kongolesische Volk lebt in prekären Verhältnissen. Überlassen von der öffentlichen Politik, die es nicht schafft, Städte zu bauen, die ihr Leben verbessern, die Infrastruktur zu entwickeln, mit den Prioritäten des Zugangs zu Trinkwasser, sanitären Einrichtungen, der Reduzierung von Gesundheitsrisiken, der Schaffung von Arbeitsplätzen, leiden städtische Gemeinden am Rande der Städte unter der Gewalt der wirtschaftlichen Ausgrenzung.
Wir gingen zu verschiedenen Orten und Räumen, geleitet von dem Willen, die sozial-räumliche Strukturierung der Stadt, ihre Ströme zu problematisieren und auch die menschlichen Aktivitäten zu bezeugen, die heute die Territorien in Lubumbashi neu erfinden
2017 organisierte ich vor der Biennale einen Workshop für junge Künstler, der sich mit urbaner Dynamik und dem Thema der territorialen Transformationen in der Stadt Lubumbashi beschäftigte. An der Schnittstelle zwischen dem alten europäischen Viertel und der so genannten „Stadt der Indigenen“ machten wir mehrere Spaziergänge auf den Spuren der Kolonisierung und den Schlüsselmomenten der Stadtgeschichte.
Die Teilnehmenden wurden angeleitet, räumliche Logiken zu beachten und gegebene Situationen zu verstehen. Wir gingen zu verschiedenen Orten und Räumen, geleitet von der Absicht, die sozial-räumliche Struktur der Stadt, ihre Bewegungen zu erfassen und auch die menschlichen Aktivitäten zu beobachten, die heute die Räume in Lubumbashi neu erfinden
Dies ist die Stadt, in der Patrice Lumumba, unser Nationalheld, und die Politiker, Mpolo und Okito, 1961, brutal massakriert wurden. Simon Kimbangu, der große antikoloniale religiöse Führer, wurde dreißig Jahre lang im Gefängnis dieser Stadt festgehalten und gefoltert. Während der Workshops stellten wir fest, dass die jungen Künstler und Künstlerinnen kaum etwas über die Geschichte ihres Landes wussten. Aber zu unserer großen Überraschung waren die Werke, die sie bei der Biennale präsentierten, fast alle von dem angeregt, was sie bei diesen Besuchen gesehen oder gehört hatten.
Eine Kunstbiennale in der Demokratischen Republik Kongo zu organisieren, setzt einen verschiedenen Risiken und realen Grenzen aus, sowohl materiell als auch konzeptionell, und bietet dennoch Möglichkeiten, die man anderswo nicht kennt. Es schien mir die richtige Strategie zu sein, das Projekt als ein noch nie dagewesenes Abenteuer zu betrachten: das heißt, zu akzeptieren, dass nicht alles kontrollierbar ist. Es ging darum, die Energie, die Rhythmen der Stadt, die unbewussten Dinge, die Zufälligkeiten, die Dinge ausmachen oder gefährden, aufzugreifen und als wesentliche Parameter für das Gelingen der Veranstaltung zu berücksichtigen.
ALS DE-LOKALISIERTES SUBJEKT INTERESSIEREN MICH DIE KUNST UND VOR ALLEM DIE KÜNSTLER IN IHRER EINZIGARTIGKEIT
Welche Rolle spielen solche Biennalen in Afrika?
Biennalen zielen darauf ab, Künstler auf nationaler, kontinentaler und internationaler Ebene Sichtbarkeit zu verschaffen. Dies ist der Fall bei der Dakar Biennale, Dak’Art, im Senegal, einer der ältesten Biennalen der Welt. Dak’Art ist eine Biennale, die panafrikanisch ist. Sie wird von afrikanischen Künstlern und Künstlerinnen sehr geschätzt, auch wenn sie oft ihre chaotische Organisation kritisieren. Sie konzentriert sich vor allem auf Kunstschaffende des Kontinents und der Diaspora. Es ist ein anregender Treffpunkt für Kreative, die in Afrika leben und solche, die über die ganze Welt verstreut sind.
Es gibt immer mehr Biennalen in der Welt, mehr als 150, glaube ich. Ist das gut oder schlecht? Derzeit gibt es zwei Kunstbiennalen in Kinshasa. Man könnte meinen, das sind zu viele, doch das ist kein Problem, wenn man bedenkt, dass Kinshasa eine riesige Metropole ist.
Die beiden Kinshasa-Biennalen gehen auf die Initiative junger Künstler und Künstlerinnen zurück, die dem Beispiel der Lubumbashi-Biennale gefolgt sind. Seit einigen Jahren sind viele künstlerische Kollektive entstanden. Die Kunstschaffenden schließen sich zusammen, weil es keine strukturelle öffentliche Förderung gibt. Außerdem sind junge Künstler versucht, sich an Einrichtungen wie das Institut français oder Stellen in der Europäische Union zu wenden, doch dann laufen sie Gefahr, sich durch die Anpassung an die Erwartungen ihrer europäischen Unterstützer von der kongolesischen Realität abkoppeln. Einer der positiven Punkte, der bei den meisten neuen Biennalen hervorzuheben ist, ist der Wunsch nach Inklusion und die größere Aufmerksamkeit für lokale Gemeinschaften. Dies ist in Douala und Lubumbashi der Fall. In Kampala, Uganda, scheint es eine sehr gute Dynamik der Einbindung in die Stadt zu geben.
Ist es noch zeitgemäß, über afrikanische Kunst zu sprechen?
Dies ist eine Frage, auf die mehr als eine Person versucht zu antworten.
Afrika ist viel zu vielfältig, um das Bild einer homogenen Kunst abzugeben. Ich bin immer wieder überrascht von dem Bild, das manche Ausstellungsmacher von Künstlern und Künstlerinnen des afrikanischen Kontinents zu vermitteln versuchen. Viele Kuratoren bedienen sich vorgetäuschter Themen, entweder um ihren eigenen Geschmack zu transportieren oder um die Kulturindustrie mit leicht bekömmlichen Formaten zu füttern. In einer so zusammengesetzten Kulturlandschaft ist die Ausstellung der Raum, um Ideologien herauszufordern, die Werturteile und ethnozentrische Klassifizierungen produzieren. Persönlich bin ich für Kunst ohne Identität. Die Ausstellungen, die ich organisiert habe, auch wenn sie überwiegend mit Künstlern und Künstlerinnen aus Afrika besetzt waren, haben nie den Anspruch erhoben, eine Einheit zu demonstrieren, die auf einer kontinentalen Identität beruht. Als de-lokalisiertes Subjekt interessieren mich die Kunst und vor allem die Künstler in ihrer Einzigartigkeit.
Welche Rolle spielt der Panafrikanismus im Bewusstsein von Künstlern und Künstlerinnen in Afrika und in der Diaspora?
Der Panafrikanismus bleibt ein wesentlicher Bezugspunkt in der neoliberalen Finsternis, er ist ein Erbe, auf das sich viele Menschen beziehen, um ihre Kämpfe heute zu stärken. Auf der anderen Seite nehmen viele Künstler und Künstlerinnen ihre Hybridität an und setzen sich kritisch mit dieser Philosophie auseinander, die aus ihrer Sicht der Vergangenheit angehört und einen Teil der Heuchelei beinhaltet. Heute versucht jeder, sich von allen möglichen Zuweisungen zu befreien, auch von Gewissheiten über die Identität.
Ist der Begriff der Identität also obsolet?
Der Begriff Identität ist eine Falle, wenn er im Sinne von Einzigartigkeit oder Authentizität gedeutet wird. Gesellschaften und Kulturen sind Prozesse der kontinuierlichen Transformation. Sie können nur das Ergebnis von „Mischungen“ sein, sie können nur Hybride sein. Ohne Wandlungsfähigkeit, ohne Synkretismus kann es keine Identität geben. Dies zu sagen ist eine Binsenweisheit. Doch trotz der Tatsache, dass wir in einer Welt der Vernetzungen leben, ist der Standpunkt, von dem aus man spricht, von größter Bedeutung. Ich fühle, dass ich einen kongolesischen Körper bewohne, meine physische Erscheinung bleibt die Markierung für mein Anderssein in einer globalisierten Welt. Seinerzeit hatte W.E.B. Du Bois diesen Eindruck, sich immer „durch die Augen der anderen betrachten zu müssen“. Was ist das Maß dessen, was mir nahe ist und was weit weg ist? Zwischen einer Beziehung und einem Nachbarn. Welche Verbindungen bestehen zu den Orten und Territorien, die ich mit meiner individuellen oder kollektiven Identität erlebe? Das Fehlen einer Identität erzeugt Panik und Chaos. Die Globalisierung schafft neue segregierte Identitäten, die Solidarität verhindern. Der Philosoph Paulin Hountondji sprach davon, „aus der kolonialen Bibliothek auszusteigen“ und die koloniale Fiktion zu dekonstruieren. Édouard Glissant ermutigte uns, eine Identitätsbeziehung aufzubauen, instabil, beweglich, kreativ, zerbrechlich, an der Kreuzung des Selbst und des Anderen.
Übersetzung: Redaktion
Biografie
Der Kunsthistoriker, bildende Künstler, unabhängige Wissenschaftler und Kurator Toma Muteba Luntumbue lehrt an der Ecole de Recherche Graphique (ERG) und an der Ecole Nationale Supérieure des Arts Visuels de La Cambre, in Brüssel, Belgien. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Ausstellung kultureller Andersartigkeit in den Museen der ehemaligen europäischen Kolonialreiche, die Verfälschung von Erinnerung und die Ikonographie im postkolonialen Kontext sowie die territorialen Mutationen der Stadt in der Globalisierung.
Er war der künstlerische Leiter der 4. und 5. Lubumbashi Biennale, 2015 und 2017, in der DR Kongo. Als Kurator hat Toma Muteba Luntumbue die folgenden Ausstellungen organisiert: „Metasporas“, bei PointCulture, Brüssel, „Ligablo“ in der Königlichen Bibliothek von Belgien (2010-11), „Transfers“ im Palais des Beaux-Arts, Brüssel (2003), „Afrika schreit“ im Kulturzentrum De Markten, Brüssel (2003), „Table Manners“, Kapelle van groeningen, Kortrijk (2003), „Démarcations“ im Centre Wallonie Bruxelles, Paris (2005), „Exitcongomuseum“ im Königlichen Museum für Zentralafrika, Tervuren (2000-2001). Als Künstler zeigte Toma Muteba Luntumbue mehrere Einzelausstellungen, unter anderem in der Cité Miroir in Lüttich 2017, in La Chaufferie in Straßburg, im Aquarium in Valenciennes und in der Galerie Extraspazio in Rom.